Internationales Graduiertenkolleg "InterArt"
Prof. Dr. Christoph Wulf ist Mitglied des Internationalen Graduiertenkollegs
Gegenstand, Aufgaben und Ziele
Die Kunstwissenschaften haben lange Zeit – nicht nur in Deutschland –eine Art Einsiedlerexistenz geführt. Ob Musik- oder Theaterwissenschaft, ob Kunstgeschichte, Literatur- oder Filmwissenschaft, jede sah sich durch ihren je spezifischen Gegenstand und eine auf ihn bezogene Methodologie und Theoriebildung klar definiert und von den anderen abgegrenzt. In den letzten fünfzig Jahren zeichnen sich allerdings in allen Künsten Tendenzen ab, die diese Abgrenzung der traditionellen Kunstwissenschaften unterlaufen. Dafür sind vor allem zwei Entwicklungen verantwortlich: zum einen die zunehmende Aufhebung der Grenzen zwischen den Künsten, wie sie durch Performativierung, Hybridisierung und Multimedialisierung hervorgebracht wird, und zum anderen die Ästhetisierung der Lebenswelt, d.h. eine tendenzielle Aufhebung der Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst wie etwa Politik, Ökonomie, neue Medien, Sport, Religion und Alltagspraktiken. Beide Tendenzen transformieren die Kunstwissenschaften im Hinblick auf ihre Gegenstände und stellen ebenso ihre Methodologie und Theoriebildung vor neue Herausforderungen.
Forschungsschwerpunkte und Arbeitsgebiete
An dieser Situation setzt das ab dem 1.10. 2006 von der DFG geförderte Internationale Graduiertenkolleg "InterArt" ein, das von Kunstwissenschaftlern der Freien Universität Berlin zusammen mit der Copenhagen Doctoral School in Cultural Theory, Literature and the Arts durchgeführt wird.
Es soll zunächst in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken bzw. -ereignissen der verschiedensten Epochen neue methodische Zugänge zu den jeweils neu in Erscheinung tretenden Interart Phänomenen erarbeiten. Damit soll es zugleich der Entwicklung neuer ästhetischer Kategorien dienen, welche die Tendenzen zu Multimedialisierung, Hybridbildung, Performativierung angemessen zu fassen vermögen. Längerfristig wird auf dieser Basis eine neue Theoriebildung angestrebt, die sich auf unterschiedliche Arten von Interart Phänomenen bezieht, denen eine einzelne Kunstwissenschaft mit ihrer spezifischen Theoriebildung nicht gerecht zu werden vermag.
Im Zentrum des Internationalen Graduiertenkollegs steht also ein klar fokussiertes methodologisch-theoretisches Problem, demgegenüber die einzelnen Dissertationen, die sich Interart Phänomenen der unterschiedlichsten Art aus ganz verschiedenen Epochen widmen, als Bausteine zur Entwicklung neuer Methoden und entsprechender Theoriebildungen zu konzipieren sind. Da die bei ihrer Bearbeitung auftauchenden Probleme häufig keineswegs als 'rein' künstlerische zu begreifen sind, sind den Vertreter/inne/n der Kunstwissenschaften auch solche der Kulturtheorie bzw. der Historischen Anthropologie zur Seite gestellt, um Verbindungslinien zu den kulturwissenschaftlichen Debatten um Intermedialität und Intertextualität mitzureflektieren.
Studienprogramm
Arbeitsweise und Organisation
Im Zentrum der Arbeit der Kollegiat/inn/en stehen die eigenverantwortliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Dissertationsprojekt und die Erarbeitung der hierfür zentralen Fragen. Die selbständige Arbeit in Kleingruppen wird durch den Rahmen des Kollegs gefördert.
Das Ausbildungsprogramm umfasst neben Oberseminaren und Vorlesungen insbesondere Veranstaltungen, die speziell auf die Belange des Graduiertenkollegs zugeschnitten sind und für die Kollegiat/inn/en reserviert bleiben. Dazu gehören obligatorisch ein 14-tägiges Forschungskolloquium, Vorträge, Blockseminare und Übungen. Damit sollen die Forschungen der Graduierten vertieft, neue Perspektiven angeregt und eine interdisziplinäre Fortbildung garantiert werden. Diese Veranstaltungen werden von den beteiligten Hochschullehrer/inne/n und von Gastwissenschaftler/inne/n durchgeführt, die aufgrund ihrer besonderen Fachkompetenz vom Kolleg eingeladen werden. Insgesamt ist das Studienprogramm so angelegt, dass es intensivierend, nicht aber promotionsverlängernd wirkt.
Das Umfeld ist an der Freien Universität Berlin für ein solches Vorhaben besonders günstig. Der Sonderforschungsbereich 626 "Ästhetische Erfahrung", in dem die Kunstwissenschaften mit Philosophie und verschiedenen Kulturwissenschaften zusammenarbeiten, der Sonderforschungsbereich 447 "Kulturen des Performativen", in dem die beteiligten Kunstwissenschaften sich gerade mit Phänomenen der Performativierung und Hybridbildung auseinandersetzen, und das "Interdisziplinäre Zentrum für Kunstwissenschaften und Ästhetik" – und nicht zuletzt die Stadt Berlin mit ihren zahlreichen Kunsteinrichtungen und -aktivitäten – eröffnen den Doktorand/inn/en des Kollegs vielfältige Möglichkeiten zur Kooperation und Vernetzung, die ihre wissenschaftliche Arbeit zu fördern vermögen und vor allem dem wissenschaftlichen Nachwuchs bei seiner Karriereplanung nützlich sein können.
Die Veranstaltungen finden vorwiegend in deutscher Sprache statt. Internationalen Gästen steht es frei, ihre Projekte in englischer Sprache zu präsentieren.
Perspektiven
Es wird davon ausgegangen, dass die Zusammenarbeit im Kolleg längerfristig Impulse zu einer Um- bzw. Neustrukturierung der beteiligten Kunstwissenschaften liefern wird, die allerdings nicht das Ziel verfolgt, sie in einer allgemeinen Bildwissenschaft oder gar Medienwissenschaft aufgehen zu lassen. Vielmehr soll die sich herausbildende Neustrukturierung die Kunstwissenschaften in die Lage versetzen, zum einen der mit den veränderten kulturellen Bedingungen zusammenhängenden heutigen Situation der Künste gerecht zu werden, was kaum eine einzelne Kunstwissenschaft allein zu leisten vermag, sondern nun alle Kunstwissenschaften einbeziehende Interart Studies. Zum anderen gehen wir davon aus, dass unter der Perspektive der zu entwickelnden Interart Studies auch bedeutsame Möglichkeiten zu einer neuen Sicht auf Kunstwerke der Vergangenheit eröffnet werden.
Die interdisziplinäre Ausrichtung des Kollegs trägt also aktuellen Veränderungen in den Kultur- und Kunstwissenschaften Rechnung und erprobt neue Wege in der Forschung der beteiligten Fächer. Damit dient es in besonderer Weise den Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachwuchs. Zugleich werden überfachliche Qualifikationen durch Teamarbeit, die Kommunikation mit Vertreter/inne/n anderer Fächer und die mündliche wie schriftliche Präsentation der eigenen Ergebnisse erworben. Die Beschäftigung mit InterArt-Phänomenen öffnet zudem den Blick für eine Fülle von alltagspraktischen, kulturellen und politischen Entwicklungen. Berufliche Perspektiven ergeben sich daher nicht nur hinsichtlich einer Hochschullaufbahn, sondern möglicherweise auch in Hinblick auf den Kulturbetrieb.