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Bilderbuch des Monats Januar 2025

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Der kühne Knappe von James Turner und Jonathan Biddle

Der kühne Knappe ist ein Bilderbuch, aber keines in einem unserer Bücherregale, sondern im gleichnamigen Videospiel von James Turner und Jonathan Biddle. Dort liegt es auf dem Schreibtisch in einem virtuellen Kinderzimmer. Spielende steuern Jot, den Helden der Geschichte, durch das Buch. Läuft man über den Rand einer Seite hinweg, dann blättert das Buch um und die Geschichte geht auf der nächsten Seite weiter. Begleitet wird das von einer tiefen männlichen Erzählerstimme, die ein bisschen Vorlesegefühl aufkommen lässt, während Dialoge in Sprechblasen ablaufen. Jot, so erfahren Spielende schon recht früh, ist nicht nur Held dieses Buches, sondern der Protagonist einer ganzen Serie von Bilderbüchern, die allesamt mit dem Triumph Jots über seinen Gegenspieler, den fiesen Zauberer Grummweil, enden. Grummweil hat davon aber genug und wirft Jot kurzerhand aus dem Buch raus. Ein weiterer Zauber erlaubt es Jot wenig später, nicht nur ins Buch zurückzukehren, sondern auch, es von jetzt an aus eigener Kraft zu verlassen, vor und zurück zu blättern und sogar, das Buch zu verändern.

Von jetzt an erzählt Der Kühne Knappe neben der Geschichte im Bilderbuch auch eine Geschichte über das Bilderbuch und über Bilderbücher an sich. Dabei nutzt das Werk viele Eigenschaften, die sich aus seiner Multimodalität als Videospiel ergeben. Die Rolle der Lesenden in der Literatur, Diegese und Fokalisierung, Metafiktion und Metalepse werden hier so kindgerecht inszeniert, erlebbar gemacht und teilweise sogar expliziert (z.B. fällt der Begriff „Meta“ des Öfteren), dass Spielerinnen und Spieler gar nicht umhinkönnen, davon etwas mitzunehmen. So werden beispielsweise Rätsel gelöst, indem Wörter von einer Stelle des Buches zu einer anderen getragen werden, um dort einen Satz zu bilden, der Jots Weiterkommen ermöglicht. An anderer Stelle liefert sich Jot mit einer Karte aus einem Sammelkartenspiel ein Duell in ebenjenem Kartenspiel. Auch über den Text eines Buches hinausgehende kulturelle Phänomene werden betrachtet, beispielsweise wenn Jot sich mit dem eigenen Merchandising konfrontiert sieht.

Leider werden die meisten dieser Potentiale nicht ausgeschöpft. Das Herumtragen der Wörter beschränkt sich bis zum Ende darauf, bestimmte Wörter zu suchen und erlaubt keinerlei kreative Lösungsansätze. Mit fortschreitender Spieldauer dominiert letztlich doch das videospieltypische Bekämpfen von Monstern und das Aufsammeln von Punkten über die Erzählung. Die Handlung um Jot, seine Freunde und den bösen Zauberer Grummweil ist über die Metaebene hinaus nicht mehr als eine generische Fantasy-Geschichte, der es an Charaktertiefe, Mehrdeutigkeit und schlicht Spannung mangelt. Visuell ist Der Kühne Knappe zwar hübsch, kann aber mit der Bildästhetik moderner Bilderbücher nicht mithalten. Bezeichnend für das liegengelassene Potential ist, dass man das Spiel nur alleine spielen kann.

Und dennoch ist Der Kühne Knappe es wert, gesehen zu werden. Als eines der ersten seiner Art, als Experiment und als Transformation von Bilderbüchern in ein neues Medium, während es gleichzeitig eine Hommage an diese ist. Der Kühne Knappe eröffnet Potentiale, die von zukünftigen ähnlichen Werken weiter erschlossen werden können. Das virtuelle Bilderbuch zeigt jedenfalls erstmals, was es so kann, und macht dabei vor allem darauf neugierig, was es als nächstes dazulernen wird.


Bilderbuch des Monats von Fabian Schwehn-Lackas