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Aus dem Bereich Evaluation: Lehrforschungsprojekte der Arbeitsstelle Lehr- und Studienqualität

22.11.2023

„Das haben wir uns noch nie angeguckt, das klingt spannend!“ In einem Lehrforschungsprojekt forschen Studierende der Bildungswissenschaften gemeinsam mit Mitarbeiter*innen der Arbeitsstelle Lehr- und Studienqualität zu Fragen von Teilhabe und Erfolg im Studium, für die es in den zentralen oder Fachbereichsberichten der Arbeitsstelle oft zu wenig Raum gibt.

Wie nehmen Frauen das soziale Klima in männerdominierten Studiengängen - wie etwa der Informatik - wahr? Haben sie das Gefühl dazuzugehören oder fühlen sie sich fremd? Welche Rolle spielt das Zugehörigkeitsgefühl für den Studienerfolg und den Studienabbruch? Diesen und ähnlichen Fragestellungen gehen Masterstudierende der Bildungswissenschaften in einem Lehrforschungsprojekt der Arbeitsstelle nach. Es geht um „Ungleichheitskonstellationen“, wie z.B. ungleiche Geschlechterverhältnisse, über die man in der Hochschulforschung bislang wenig weiß. Ein Hauptproblem sind die oft geringen Fallzahlen auf Studiengangsebene, die eine aussagekräftige Analyse in der Regel unmöglich machen.

Aber weshalb sollte dies dann ausgerechnet in einem Lehrforschungsprojekt gelingen? Der Schlüssel hierfür ist die geschickte Zusammenlegung von mehreren großen Datensätzen, die in der Arbeitsstelle seit 2013 in regelmäßigen Abständen bei den universitätsweiten Befragungen von Studierenden im Bachelor und Master entstehen. In der Forschung spricht man von kumulierten Datensätzen, mit denen man dann auch unterrepräsentierte Gruppen (z.B. Frauen in der Informatik, nicht-traditionelle Studierende) in den Blick nehmen kann, weil diese dann in größerer Anzahl vorhanden sind, als dies in den Datensätzen einzelner zentraler Evaluationen der Fall ist. Tatsächlich ließ sich im Lehrforschungsprojekt zeigen, dass die Abbruchintention von Frauen in der Informatik mit ihrem geringeren Zugehörigkeitsgefühl zusammenhing, und dies obwohl sie sich in ihren Leistungen nicht von den Männern unterschieden. Damit bestätigte sich die Annahme des amerikanischen Soziologen Vincent Tinto, dass der sozialen Integration eine eigenständige Bedeutung für den Studienerfolg oder den Studienabbruch zukommt.

Das Lehrforschungsprojekt verfolgt jedoch noch ein weiteres wichtiges Ziel. Studierende sollen einen authentischen Zugang zu einem späteren Berufsfeld erhalten, und dies auf Augenhöhe mit den Mitarbeiter*innen der Arbeitsstelle. Hierfür orientieren wir uns didaktisch an dem Modell des cognitive apprenticeship, welches auch als Modell der „Meisterlehre“ bekannt ist. Danach besteht das Lernen im Lehrforschungsprojekt aus vier Phasen, in denen das selbstständige Forschen der Studierenden am Projekt immer mehr Raum einnimmt. In der ersten Phase („Modeling“) tauscht man sich noch als Gruppe gemeinsam über Forschungslücken und mögliche Fragestellungen aus. Die Mitarbeiter*innen der Arbeitsstelle übernehmen dabei die Rolle des „Meisters“ bzw. des „Vorbilds“, indem sie Hinweise geben, Argumentationen schärfen und Argumente kritisch reflektieren. Die Studierenden werden auf diese Weise und im weiteren Verlauf zu Mitgliedern einer community of practice. In der zweiten Phase („Coaching“) nehmen sich die Mitarbeiter*innen der Arbeitsstelle etwas zurück und stehen zur Beratung zur Verfügung, insbesondere wenn es um die Konkretisierung der Fragestellung und den Einsatz von spezifischen Auswertungsverfahren geht. Hieran schließt sich die Phase des „Scaffoldings“ an, die durch bedarfsbezogene Hilfestellung bei konkreten Problemen im Verlauf des Forschungsprozesses gekennzeichnet ist (z.B. den Umgang mit fehlenden Werten). Das „Fading“ ist die vierte Phase, in der die Studierenden dann sehr selbstständig in der Gruppe arbeiten und ihre Forschungsergebnisse dokumentieren. Die vier Phasen sind in ihrer Aufeinanderfolge als idealtypisch zu betrachten: Ist eine Forschungsfrage zu Beginn des Lehrforschungsprojekts bereits hinreichend gut konkretisiert, dann kann es sein, dass das „Coaching“ und „Scaffolding“ einen deutlich größeren Rahmen einnehmen als das „Modeling“.

Die Fähigkeit zum wissenschaftlichen Schreiben erwerben die Teilnehmer*innen im parallel stattfindenden Modul „Forschungsplanung und Publikation“. Dies entlastet das Lehrforschungsprojekt sehr und unterstützt die Dokumentation enorm. Es ist dann verblüffend zu sehen, wie gut die Ergebnisse des Projekts aufgeschrieben und dokumentiert werden.

Vor wenigen Wochen hat wieder ein Projekt begonnen. Man darf gespannt sein darauf, für welche innovativen Fragestellungen der „Datenschatz“ genutzt wird.