Springe direkt zu Inhalt

Aus dem Bereich Evaluation: Welche Rolle spielen Aspekte der Studienorganisation für die soziale Integration von Studierenden?

01.12.2020

Die soziale Integration von Studierenden ist ein wichtiger Einflussfaktor auf den Studienerfolg. Dabei sind nicht nur gute soziale Kontakte zu Studierenden wichtig, sondern auch eine positive Lehrenden-Studierenden-Beziehung. Analysen im Rahmen der Bachelorbefragung 2019 an der Freien Universität Berlin zeigen, dass sich Studierende in Kombinationsstudiengängen seltener sozial eingebunden fühlten als Studierende in Monobachelorstudiengängen. Für die soziale Integration scheint der zeitliche Umfang, den die Studierenden in gemeinsamen Lehrveranstaltungen verbringen, eine Rolle zu spielen. Die Lehrenden-Studierenden-Beziehung ist hingegen weitgehend unabhängig von Aspekten der Studienorganisation. Für beide Facetten der universitären Integration zeigen sich signifikante Fächergruppenunterschiede.

Gemäß der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1993) ist die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompetenzerleben, nach Selbstbestimmung und nach sozialer Eingebundenheit ausschlaggebend für das Wohlbefinden und die Lernmotivation. Auch Studien zeigen, dass die Qualität sozialer Beziehungen für das Lerngeschehen und den Lernerfolg eine wichtige Rolle spielt. So ist die soziale Integration bzw. das Studienklima - also das Ausmaß, in dem sich Studierende in ihrem Studium integriert fühlen, Lerngruppen bilden und sich mit Kommiliton*innen über das Studium austauschen - ein wichtiger Einflussfaktor auf den Studienerfolg von Studierenden. Aber auch eine positive Lehrenden-Studierenden-Beziehung, die durch Freundlichkeit und Respekt geprägt ist, trägt zur sozialen und akademischen Integration von Studierenden bei. Beide Aspekte fördern eine erfolgreiche akademische Entwicklung und reduzieren das Risiko eines Studienabbruchs.

Für die soziale und akademische Integration von Studierenden spielen studienorganisatorische Aspekte eine wichtige Rolle. Es wird angenommen, dass Studierende in Kombinationsstudiengängen in ihrem Kernfach weniger gut integriert sind als Studierende in Monobachelorstudiengängen. Dies wird darauf zurückgeführt, dass sie aufgrund der Fragmentierung des Studiums in verschiedene fachliche und soziale Kontexte weniger Zeit haben, um soziale Kontakte zu Lehrenden und anderen Studierenden zu knüpfen. Da Kombibachelorstudierende mit Lehramtsoption zusätzlich den Studienbereich der lehramtsbezogenen Berufswissenschaft (LBW) gemeinsam durchlaufen, könnte man erwarten, dass sie sich stärker integriert fühlen als Kombibachelorstudierende ohne Lehramtsoption. Von der Annahme ausgehend, dass der Umfang der Interaktionsgelegenheiten mit dem Ausmaß der erlebten Integration zusammenhängt, würde man auch erwarten, dass Kombibachelorstudierende in ihrem Kernfach integrierter sind als in ihrem Nebenfach.

Ergebnisse von Kovarianzanalysen mit Daten der Bachelorbefragung 2019 bestätigen diese Annahmen weitgehend. Wie in Abbildung 1 für die Skala „Studienklima“ dargestellt, zeigt sich, dass Studierende in Kombinationsstudiengängen signifikant seltener als Studierende in Monobachelorstudiengängen angaben, Kontakte zu Kommiliton*innen (z.B. in Lerngruppen) zu haben und sich im Studium zugehörig zu fühlen (Abb. 1a). Kombinationsbachelorstudierende mit Lehramtsoption bewerteten das Studienklima aber erwartungsgemäß besser als Kombibachelorstudierende ohne Lehramtsoption (Abb. 1b). Zudem waren Studierende in Kombinationsstudiengängen in ihrem Kernfach sozial integrierter als in ihrem Nebenfach (Abb. 1c).

Außerdem zeigt sich, dass Studierende der Naturwissenschaften in allen drei hier dargestellten Analysen signifikant bessere soziale Beziehungen mit ihren Kommiliton*innen und eine stärkere Zugehörigkeit als Studierende der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften berichteten. Für dieses Ergebnis spielen möglicherweise fachkulturelle Unterschiede in Lehr-Lernformen (Laborpraktika; Protokolle, die in Lerngruppen angefertigt werden, etc.) eine Rolle, die zu einem unterschiedlichen Ausmaß an Interaktionsgelegenheiten führen.



Abbildung 1. Mittelwerte für die Skala „Studienklima“ nach Abschlussart und Fächergruppe (Antwortskala von 1=trifft nicht zu bis 8=trifft zu)

Für die Skala „Lehrenden-Studierenden-Beziehung“ lässt sich jedoch entgegen den Erwartungen kein signifikanter Unterschied zwischen Mono- und Kombibachelorstudierenden verzeichnen. Ebenfalls besteht weder zwischen Kombibachelorstudierenden mit und ohne Lehramtsoption noch zwischen Kern- und Nebenfach ein signifikanter Unterschied in der wahrgenommenen Lehrenden-Studierenden-Beziehung. Das Ausmaß, in dem die Studierenden die Beziehung zu den Lehrenden als freundlich und respektvoll erleben und sich von den Lehrenden ernst genommen fühlen, scheint also nicht davon abzuhängen, wie viel Zeit sie tatsächlich mit den Lehrenden in ihrem Fach verbringen.

Auch hier zeigen sich aber signifikante Fächergruppenunterschiede. Studierende der Naturwissenschaften schätzten die Beziehung zu ihren Lehrenden insgesamt weniger gut ein als Studierende der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften.

Eine weitere mögliche Erklärung für die höhere soziale Integration in den naturwissenschaftlichen Fächern bei gleichzeitig negativerer Bewertung der Lehrenden-Studierenden-Beziehung wäre, dass hier ein kompensatorischer Effekt vorliegt. Möglicherweise vernetzen sich Studierende der Naturwissenschaften stärker mit anderen Studierenden, wenn sie die Beziehung zu den Lehrenden als weniger positiv und unterstützend erleben, um die Studienanforderungen zu bewältigen. Dies lässt sich aber mit den vorliegenden Daten nicht eindeutig beantworten.

Die aufgezeigten Effekte der Fragmentierung des Studiums auf die soziale Integration der Studierenden bieten Anlass, durch geeignete Lehr- und Lernformen auch in den nicht-naturwissenschaftlichen Fächern für mehr Interaktionsgelegenheiten zwischen den Studierenden zu sorgen, insbesondere in den 30- und 60-LP-Modulangeboten. Auch in digitalen Lehrformaten sollten vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse verstärkt kooperative Lerngelegenheiten für die Studierenden geschaffen werden, damit bei ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit entstehen kann. Dies ist insbesondere für die Studierenden wichtig, die zum Wintersemester 2020/2021 neu an der Universität starten. Hierzu können natürlich auch extra-curriculare Angebote, wie beispielsweise das Mentoring, beitragen.