Determinanten unterschiedlicher Konsummuster von Cannabis
- Förderer: Bundesministerium für Gesundheit
- Laufzeit: 15.11.92 - 15.11.95 (in Kooperation mit dem SPI Berlin); 2.Phase 16.11.95 - 31.12.96
- Fördersumme: DM 910.000
- Projektleitung: Prof. Dr. Dieter Kleiber
- Mitarbeiter/innen: Renate Soellner; Peter Tossman (1. Phase); Christian Wetzel (2.Phase)
Ausgangslage:
Im März 1994 löste ein Urteil des Lübecker Landgerichtes eine erneute heftige und kontrovers geführte Diskussion um die Substanz Cannabis aus. Von vorrangigem Interesse war die Frage nach etwaigen Gesundheitsrisiken, die mit dem Konsum von Cannabis einhergingen.
Diese Diskussion machte u.a. Forschungsdefizite deutlich: Die Drogenforschung konzentrierte sich innerhalb der letzten 25 Jahre im deutschsprachigen Raum vor allem auf den Konsum harter Drogen, während der Konsum von Cannabis weitgehend unerforscht geblieben war.
Ziel:
Ziel des vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Forschungsprojektes war es
- unterschiedliche Konsummuster von Cannabis empirisch zu differenzieren und zu beschreiben,
- Korrelate der Konsummuster zu identifizieren und
- Korrelate von Veränderungen unterschiedlicher Konsummuster zu untersuchen.
Methode:
Da die Grundgesamtheit der Cannabiskonsumenten nicht bekannt ist, und eine repräsentative Haushaltsbefragung einen zu großen Stichprobenumfang realisieren müßte, um eine hinreichend große Zahl unterschiedlicher Konsumtypen zu erfassen, wurde eine aufsuchende Stichprobenstrategie gewählt, die zum Ziel hatte Cannabiskonsument/innen mit unterschiedlichen Konsummustern und unterschiedlichen Sozialisations- und Lebensbedingungen, d.h. eine möglichst heterogene Stichprobe, zu befragen. Die Stichprobenrekrutierung erfolgte über Zeitungs- und Medienberichte sowie über Interviewer/innen.
Erhebungsinstrumente waren zum einen ein teilstandardisierter Fragebogen, der vor allem Merkmale des Konsumverhaltens, aber auch Fragen zur allgemeinen Lebenseinstellung, soziodemographische Angaben sowie ausgewählte psychologische Charakteristika enthiel, zum anderen wurden zur Erfassung der Begründungen für eine Veränderung des Konsumverhaltens qualitative Interviews durchgeführt.
Ergebnisse:
Insgesamt konnten 1458 cannabiserfahrene Personen befragt werden. Es zeigte sich, daß Cannabiskonsum intra- und interindividuell, sowie zeitlich hoch variabel ist, und daß auf der Basis einer multivariaten Klassifikation neben Gelegenheitskonsumenten drei verschiedene Muster gewohnheitsmäßigen Cannabiskonsums differenzierbar sind: Individualkonsumenten, die überwiegend alleine und zu Hause Cannabisprodukte konsumieren; gewohnheitsmäßige Freizeitkonsumenten, die an durchschnittlich sechs Tagen pro Woche in sozialen Freizeitkontexten konsumieren und die hinsichtlich ihres Konsums Arbeit und Freizeit strikt voneinander trennen, und schließlich gewohnheitsmäßige Dauerkonsumenten, die überall, d.h. auch in Arbeitskontexten Cannabis konsumieren, und deren Konsum sich durch eine häufigere Wahl substanzintensiver Konsumformen (pur) auszeichnet.
Die Analysen ehemaliger Cannabiskonsumenten konnten zeigen, daß ein 'Ausstieg' aus dem Cannabiskonsum unabhängig von der Dauer des Konsums zu jeder Zeit erfolgen kann. Der Übergang zu partner- bzw. familienorientierten Lebensstilen erhöht nach der hier vorliegenden Datenlage die Wahrscheinlichkeit zur Einstellung des Cannabiskonsums. Mit dem Einstellen des Cannabiskonsums nimmt auch die Wahrscheinlichkeit, andere illegale Drogen zu konsumieren, deutlich ab. Diese Befunde widersprechen der Eskalationsthese, wonach der Konsum von Cannabis mit zunehmender Dauer quasi substanzinduziert härtere Konsumformen wahrscheinlicher und somit einen 'Ausstieg' unwahrscheinlicher macht.
Eine Abhängigkeit vom Typ Cannabis entsprechend der Klassifikation des DSM-IV ließ sich bei 2% derjenigen aktuellen Konsumenten feststellen, die bislang ausschließlich Cannabisprodukte und nicht auch andere ‘harte’ Drogen konsumiert hatten. Die Abhängigkeitsraten steigen jedoch bei parallelem, insbesondere aktuellem, Beikonsum anderer illegaler Substanzen auf bis zu 20% und lagen in der untersuchten Gesamtgruppe bei 8%. Interessanterweise weichen die Selbsteinschätzungen von der objektive Diagnostik ab: Insgesamt fühlen sich mehr Konsumenten psychisch abhängig von Cannabis als bei Anwendung psychiatrischer Diagnosesysteme (DSM-III-R; DSM-IV) klassifiziert würden. Die berichteten Probleme im Zusammenhang mit Cannabis incl. der Abhängigkeitsprobleme stehen dabei in keinem nachweisbaren Zusammenhang mit Indikatoren wie der Konsumdauer oder Konsummengen, sondern eher mit Faktoren, die als Indikatoren einer allgemeinen schlechteren psychischen Gesundheit gelten und prädisponierend für ungünstige Konsumverläufe sein können (ein früher Konsumeinstieg oder psychische Probleme wie Gehemmtheit, geringe Selbstwirksamkeit etc.). Insofern kann problematischer Cannabiskonsum auch als Strategie der Bewältigung (Coping) alltäglicher Belastungen interpretiert werden.
Projektbezogene Veröffentlichungen:
- Kleiber, D. & Soellner, R. (1996). Cannabis und Heroin: Wider den Uniformitäts- und Homogenitätsmythos. In: H. Wegehaupt & N. Wieland (Hrsg.), Kinder - Drogen - Jugendliche - Pädagogen: in Kontakt bleiben. Münster: Votum.
- Kleiber, D., Soellner, R., Tossmann, P. (1993). Determinanten unterschiedlicher Konsummuster von Cannabis. Zwischenbericht 12/93. Berlin: spi.
- Kleiber, D., Soellner, R., Tossmann, P. (1994). Determinanten unterschiedlicher Konsummuster von Cannabis. Zwischenbericht 12/94. Berlin: spi.
- Kleiber, D., Soellner, R., Tossmann, P. (1997). Cannabiskonsum in der Bundesrepublik Deutschland - Entwicklungstendenzen, Konsummuster und Einflußfaktoren. Bonn: Bundesministerium für Gesundheit.
- Hennig, V. & Thorwesten, P (1997). Abhängigkeit von Cannabis. Unveröffentlichte Diplomarbeit, TU-Berlin.
- Manthey, U. (1995). Über den Einfluß von Familienbeziehungen und Substanzkonsum in der Familie auf den Cannabiskonsum. Unveröffentlichte Diplomarbeit, FU-Berlin.
- Michalzik, D. (1996). Auswirkungen des "Cannabis-Urteils" vom 09.03.1994 bei jungen Erwachsenen: Eine empirische Vergleichsstudie von cannabiserfahrenen und-abstinenten jungen Erwachsenen. Unveröffentlichte wissenschaftiche Hausarbeit, FU-Berlin.
- Rombusch, C. (1995). Werthaltungen von Cannabiskonsumenten in den 90er Jahren. Unveröffentlichte Diplomarbeit, TU-Berlin.
- Soellner, R., Kleiber, D. & Tossmann, H.P. (1995). Einmal Cannabis - immer Cannabis? - Prädiktoren für fortgesetzten Cannabiskonsum-. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 1, 65-77.
- Tossmann, H.P., Soellner, R. & Kleiber, D. (1993). Cannabis – Konsummuster und Gefährdungspotential. In: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, Jahrbuch Sucht ‘94. Geesthacht: Neuland.
Vorträge:
- Kleiber, D. (1997). Gesundheitliche Aspekte des Cannabiskonsums. Vortrag gehalten auf dem 20. Bundeskongre des FDR, Erfurt, 14.-16.04.
- Kleiber, D., Soellner, R. (1997). Cannabiskonsum in der Bundesrepublik Deutschland: Entwicklungstendenzen, Konsummuster und Einflußfaktoren. Vortrag gehalten während des Workshops: Cannabis- Entkriminalisierung aus wissenschaftlicher Sicht, Hamburg, 18.04.
- Kleiber, D., Soellner, R.; Tossmann, H.P. (1994). Rationales for changing cannabis use. Paper presented at the 5th Biennial ESMS Conference 'Health + Medicine in the new Europe' Wien, 16.-18. 09.
- Kleiber, D., Soellner, R., Rombusch, C., Enzmann, D., Wetzel, C. (1996). Long term effects of cannabis use. Paper presented at the fifth Conference of the European Social Science Research Group on drug issues, Amsterdam, 26.-28. 09.
- Soellner, R., Tossmann, H.P., Kleiber, D. (1994). Risikofaktoren des Cannabiskonsums. Vortrag gehalten auf dem 10. Kongreß für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Berlin, 20.-25.02.
- Soellner, R., Kleiber, D., Tossmann, H.P. (1994). Different patterns of cannabis use. Paper presented at the 38th and 21st International Institutes on the prevention and treatment of alcoholism and drug dependence, Prague, 05.-10.06.
- Soellner, R. (1994). Patterns of cannabis use. Paper presented at the fifth Conference of the European Social Science Research Group on drug issues, Sonderborg, 18.-20.09.
- Soellner, R., Kleiber, D., Tossmann, H.P. (1995). Problematic cannabis use. Paper presented at the IVth European Congress of Psychology, Athens, 03.-07.07.
- Soellner, R., Kleiber, D., Tossmann, H.P. (1995). Sampling Procedures in research on Cannabis use - or how to find the 'adequate' sample. Paper presented at the sixth Conference of the European Social Science Research Group on drug issues, Coimbra, 22.-24.09.
- Tossman, H.P., Kleiber, D., Soellner, R. (1995). Begründungsmuster für die Veränderung von Cannabiskonsum. Vortrag gehalten auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie, Würzburg, 26.-27-05.
- Tossman, H.P., Kleiber, D., Soellner, R. (1996). Begründungsmuster für die Entwicklung habituellen Cannabiskonsums. Vortrag gehalten auf der 11. Wissenschaftlichen Tagung der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, Lübeck, 27.-30-03.
weitere Projekte des Arbeitsbereichs Prävention und psychosoziale Gesundheitsforschung »